Den Bierbauch loswerden

Die Reise einer allgemeinen Ortsgruppe der IWW von einem Klub alter Herren zur produktiven gewerkschaftlichen Organisierung.
Den Bierbauch loswerden
Quelle: Industrial Worker

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Vor etwa 5 Jahren, nicht lange, nachdem ich der IWW beigetreten war, postete jemand eine Frage in einer der Unmengen inoffizieller IWW-Facebook-Gruppen – So im Stil von: „Welche Probleme hat eure Ortsgruppe?“. Ein Mitglied unserer Ortsgruppe antwortete, dass wir alle männlich seien. Das stimmte zwar nicht ganz. Aber es war nahe genug an der Wahrheit, dass ein aktives Mitglied unserer Ortsgruppe den Fehler in gutem Glauben gemacht hatte. Es folgte eine Diskussion, aber es wurden nur wenige feuerfeste Lösungen vorgeschlagen. Ein Mitglied aus einer anderen Ortsgruppe meldete sich zu Wort und sagte: „Es ist schwer, den Bierbauch wieder loszuwerden, wenn man ihn einmal bekommen hat.“ Ungefähr vier Jahre später saß ich auf dem Treffen unserer Ortsgruppe und war der einzige Weiße und einer von insgesamt nur zwei Männern, die anwesend waren. Die Versammlung hatte mich auch nicht für die Beschlussfähigkeit gebraucht. Einige Monate später fanden in unserer Ortsgruppe Wahlen statt, bei denen von insgesamt elf Personen fünf verschiedene Frauen in offizielle Positionen gewählt wurden, darunter auch unsere Ortsgruppensekretärin, Finanzer*in sowie die stellvertretende Finanzer*in. Nachdem wir diese Fortschritte gemacht haben, lohnt es sich, darüber nachzudenken, was in der Entwicklung funktioniert hat und was nicht.

Was wir versucht haben.

Für diejenigen, die es nicht wissen: die IWW koordinieren einen Großteil ihrer Aktivitäten über allgemeine Ortsgruppen. Ortsgruppen vereinen Arbeiter*innen eines geografischen Gebiets, um sich zu treffen und die Organisierung am Arbeitsplatz zu planen. Zu dieser Zeit war unsere Ortsgruppe fast ausschließlich männlich besetzt, wobei mehrere Frauen austraten und Sexismus als Grund angaben. Da wir wussten, dass die Arbeiter*innenklasse nicht zu 95 Prozent aus Männern besteht und Sexismus grundsätzlich schlecht ist, beschlossen wir, etwas gegen diesen Zustand zu unternehmen. Unsere Ortsgruppe gründete in kurzer Zeit eine Arbeitsgruppe für Gleichstellungsfragen und beschloss, einen Katalog an Maßnahmen zu verabschieden. Zum Beispiel bekamen Menschen aus weiter marginalisierten Hintergründen einen Vorrang auf der Redeliste unserer Treffen.

"Leider ist es einfacher, Maßnahmen zu beschließen, als sie tatsächlich umzusetzen."

Leider ist es einfacher, Maßnahmen zu beschließen, als sie tatsächlich umzusetzen. Der Werdegang der Gleichstellungs-Arbeitsgruppe ist in dieser Hinsicht aufschlussreich. Die Arbeitsgruppe wurde auf einer Branchenversammlung Ende 2017 als Zusammenschluss von Arbeiter*innen gegründet, die nicht nur aus der Arbeiter*innenklasse stammten. Sondern sie waren auch in irgendeiner Weise marginalisiert. Frauen, nicht-binäre Arbeiter*innen, nicht-weiße Arbeiter*innen, queere Arbeiter*innen, behinderte Arbeiter*innen und so weiter. Diese Kolleg*innen wollten erstmal unter sich bleiben und dem Rest der Ortsgruppe dann Vorschläge machen. 

Die Kollegin, die die Gründung der Arbeitsgruppe vorangetrieben hatte, verließ die Gewerkschaft kurz danach. Unter dem Rest der Mitglieder gab es nicht genügend Menschen, die sich qualifiziert fühlten, diese Gruppe zu betreiben. Das Thema Gleichstellung existierte nur noch als Tagesordnungspunkt auf unseren Sitzungen der Ortsgruppe. Auf jeder Sitzung wiesen wir pflichtbewusst darauf hin, dass die Arbeitsgruppe keine*n Vorsitzende* hatte. Schließlich stimmten wir dafür, die Arbeitsgruppe aufzulösen und stattdessen ein Gleichstellungskomitee zu gründen, in dem alle mitmachen konnten. Das Komitee machte einige Vorschläge, darunter ein „Beschwerdeverfahren“, bei der sich Mitglieder anonym beschweren konnten, wenn sie sich sexistisch behandelt fühlten. Dies war das Ergebnis der ersten und einzigen Sitzung des Gleichstellungskomitees.

Sofern ich das beurteilen kann, wurde das Beschwerdeverfahren nie genutzt. Der Grundgedanke ist zwar nach wie vor vorhanden, wird aber selten auf den Treffen angesprochen. Sofern ich das beurteilen kann, war das Beste, was daraus entstand, dass sich Trans*-Arbeiter*innen darüber freuten, dass ihre Existenz anerkannt und begrüßt wurde. Als ich mich für diesen Artikel an einige Frauen in unserer Ortsgruppe wandte, sagte mir eine, dass sie das Gefühl habe, dass wir uns nicht and das Beschwerdeverfahren hielten.  Für Sie fühle sich die Existenz des Verfahrens erniedrigend an und wir sollten es abschaffen.

Was tatsächlich funktionierte.

 Wenn also alle unsere Versuche, gegen Sexismus vorzugehen, gescheitert sind, wie konnte unsere Ortsgruppe dann dort landen, wo sie heute ist? Frauen sind in etwa in der Hälfte unserer gewählten Positionen, eingeschlossen der sichtbarsten Positionen. Zunächst einmal muss man verstehen, dass Sexismus bei weitem nicht unser einziges Problem war.

"Zunächst einmal muss man verstehen, dass Sexismus bei weitem nicht unser einziges Problem war."

Ungefähr zu der Zeit, als die Gründerin unserer Gleichstellungs-Arbeitsgruppe die Ortsgruppe verließ, brach unsere Mitgliederzahl ein. Wir waren regelmäßig nicht beschlussfähig, und die meisten Komitees trafen sich nur selten oder gar nicht. Sexismus war vielleicht das brisanteste Problem, mit dem unsere Ortsgruppe konfrontiert war, aber es war wahrscheinlich nicht das grundlegendste. Anfang 2018 meldeten sich sechs Kolleg*innen des gleichen Arbeitsplatzes bei uns, um ihren Arbeitsplatz zu organisieren. Alle sechs hatten unsere Mitgliedskarten, die Red Cards unterschrieben und Beiträge gezahlt. Aber wir hatten keine lokale Unterstützungsstruktur, in die wir sie einbinden konnten, oder Leute, die sich mit ihnen hätten treffen können. Zufälligerweise waren alle sechs Arbeiterinnen, und wenn sie Mitglieder geblieben wären, hätten sie 25 Prozent unserer Ortsgruppe ausgemacht. Wäre unsere Ortsgruppe in der Lage gewesen, diese interessierten Arbeiterinnen zu unterstützen, hätten unsere demografischen Probleme plötzlich viel kleiner ausgesehen.

Obwohl uns dieser Betrieb entglitten ist, haben wir schließlich eine Struktur aufgebaut, die es uns ermöglicht, neue Organizer*innen zu unterstützen. Wir stützten uns auf die Erfahrungen eines Mitglieds in der betrieblichen Organisierung unserer Ortsgruppe: Dem Organizer-Schulungsprogramm der IWW und bauten Kontakte zu anderen Ortsgruppen auf. Wenn sich nun Kolleg*innen an unsere Ortsgruppe wenden, um eine Gewerkschaft in ihrem Betrieb aufzubauen, verfügen wir über ein Team von Organizer*innen, die echte Kampagnen und Aktionen in den Betrieben erlebt haben. Sie sind deshalb in der Lage, ihnen zu helfen. Wenn Kolleg*innen der Gewerkschaft beitreten, ohne die Absicht zu haben, selber etwas in ihren Betrieben zu organisieren, können wir sie mit echten Organisierungs- oder Unterstützungsaktivitäten vernetzen. Wir können Mitglieder anleiten, externe Organizer*innen zu werden und Schlüsselpositionen zu übernehmen. Auf diese Weise wurden Frauen in unserer Ortsgruppe in gewählte Posten gebracht – indem sie die Arbeit machen konnten, für die sie vermutlich auch Mitglied in der Gewerkschaft geworden sind. Eine Kollegin erzählte mir, dass sie nach dem Verlust ihres Arbeitsplatzes nur deshalb in der Gewerkschaft blieb, weil es einen Posten gab, für den sie im Organizing-Komitee der Ortsgruppe kandidieren konnte. Es überrascht vielleicht nicht, dass „Trete der Gewerkschaft bei und sorge dafür, dass wir weniger sexistisch sind“ ein weniger inspirierendes Verkaufsargument ist als „Trete der Gewerkschaft bei, organisiere deine Kolleginnen und Kollegen und übernimm die Macht im Betrieb“.

Abschließende Überlegungen.

Damit soll nicht gesagt werden, dass wir Fragen des Sexismus völlig ignorieren sollten. Auch wenn ein Mangel an Sexismus nicht ohne weiteres dazu führt, dass Frauen und nicht-binäre Menschen einer Organisation beitreten. So kann Sexismus dennoch ein Grund dafür sein, dass Kolleg*innen die Organisation verlassen. Vielmehr sollten wir verstehen, dass Sexismus mit anderen Problemen zusammenhängt. Frauen und nicht-binäre Menschen werden nicht zu Organizer*innen, wenn sie ihre Fähigkeit zum Organisieren nicht entwickeln. Sie werden ihre Fähigkeiten auch nicht entwickeln, wenn ihnen niemand dabei hilft. Sie werden ihre Fähigkeit zum Organisieren auch nicht entwickeln, wenn die bestehenden Organizer*innen allesamt Männer sind, die nur diejenigen unterstützen, mit denen sie das Gefühl haben, die meisten Gemeinsamkeiten zu haben. Oder mit denen sie am liebsten rumhängen und ein Bier trinken würden. Es ist wichtig verschiedene Möglichkeiten für interessierte Mitglieder zu schaffen. Dazu gehört auch das Erkennen von Mitgliedern, die zwar anwesend sind, aber einen kleinen Anstoß brauchen, um den nächsten Schritt zu tun und sich zu engagieren. Klar definierte Wege zur Unterstützung von Menschen führen zu besseren Ergebnissen. Generell gilt: Je klarer der Weg vom Neumitglied zur aktiven Organizer*in definiert ist, desto leichter ist es, diesen Weg gleichberechtigt zu beschreiten. Je mehr wir neuen Mitgliedern helfen Hindernisse zu überwinden, desto mehr Hindernisse werden überwunden. Einschließlich Sexismus.

Wenn ich einen Ratschlag für Menschen hätte, die sich für den Kampf gegen Sexismus interessieren, dann wäre es: „Unterstützt Frauen und nicht-binäre Menschen dabei, die Gewerkschaftsarbeit zu machen, für die sie sich angemeldet haben. Bittet sie nicht, Sexismus zu bekämpfen.“

Wir freuen uns immer über neue Beiträge. Hast du etwas über betriebliche Organisierung zu erzählen? Bist du unsicher, ob deine Geschichte es wert ist zu erzählen? Melde dich hier bei uns.

 Dieser Artikel erschien zuerst Industrial Worker.

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