Wenn die Luft da oben dick wird

Stefan berichtet von einer direkten Aktion in der Luftfahrtindustrie und wie es sein Verhältnis zu direkten Aktionen bis heute beeinflusst.
Wenn die Luft da oben dick wird
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Den Beitrag anhören | Gelesen von Jona Larkin White | Quelle: direkteaktion.org/podcast
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Dass es laut und die Luft nicht die Beste ist, daran hatten wir uns gewöhnt. Und eigentlich war es für eine Werkhalle in der Luftfahrtindustrie auch relativ sauber und die Belastungen nicht beständig hoch.

Wir fertigten zu dieser Zeit Rumpfteile für Langstreckenflugzeuge. Die Teile hatten gewisse Ausmaße, so arbeiteten wir auf 2-stöckigen Bauvorrichtungen. Die obere Plattform war ca. 2,50 m über dem Boden. In einem Seitenteil unserer Halle wurden metallische Bauteile galvanisiert, d. h. durch chemische Prozesse wie Tauchbäder und Wärmebehandlungen korrosionsbeständig gemacht. Eines Tages beschloss die Betriebsleitung diese galvanische Abteilung in einen Neubau zu verlegen und den bisherigen Bereich zu sanieren. Wegen der hohen Schadstoffbelastung des Bodens gehörten zu der Sanierung umfangreiche Erdaushebungen.

Wir gingen also an dem Tag unserer Arbeit nach, als wir starken Motorenlärm vernahmen. Wir schauten nicht schlecht, als LKWs den Hauptgang der Halle benutzten, um das ausgehobene Erdreich abzutransportieren. Wie gesagt, Flugzeugbau ist auch manchmal laut, dass störte uns erst einmal nicht allzu sehr. Aber der Tag schritt voran und wir bemerkten eine deutliche Verschlechterung der Luft. Die Dieselabgase der schweren Baulastwagen stiegen unter die Decke und nahmen uns die Luft!

Ich war zu der Zeit noch ein junger Mann und gerade mit meiner Facharbeiterausbildung fertig. So wusste ich noch nicht genau, „wie der Hase läuft“. Das wurde mir dann von den „alten Hasen“ eindrucksvoll gezeigt.

Ein Kollege, langjähriger Gewerkschaftsvertrauensmann, kam von der Nachbarvorrichtung herüber. „Wir lassen jetzt alle sofort das Werkzeug liegen. Die spinnen wohl, uns hier zu verpesten!“ Das war eine Ansage und so gingen wir mit allen Kollegen (Kolleginnen gab es leider zu der Zeit nicht in unserer Abteilung) zum Betriebsrat. Bevor wir losgingen, wurde in einer kurzen Diskussion gemeinsam festgelegt, was wir wollen. „Wir gehen da nicht weg, bis der LKW- Verkehr aufhört und wir wieder atmen können!“ „Genau, die sollen mal genug Kaffee kochen!“ Die Stimmung löste sich durch solch lustigen Aussprüche. Ich weiß noch, wie sich ein Gefühl der Stärke bei mir breit machte. Das hatte ich mit meinen damals 20 Jahren noch nicht erlebt.

Guten Mutes „enterten“ wir das Betriebsratsbüro. Dort fanden wir sehr schnell Verbündete für unser Anliegen und es wurden hektisch Telefonate geführt. Ca. 30 Minuten später kam ein Betriebsratsmitglied zu uns, um das Ergebnis mitzuteilen. „So Leute. Die LKW fahren vormittags nicht mehr, die Arbeiten müssen dann nachmittags erledigt werden. Trinkt ruhig noch in Ruhe den Kaffee aus. Ich nehme mir jetzt auch einen.“

Wir feierten quasi unseren Erfolg. Und es wurde viel gescherzt und gelacht. 15 Minuten später nahmen wir die Arbeit wieder auf. Kein LKW zu sehen und die großen Hallentore standen zur Lüftung sogar weit offen.

Mich hat diese Aktion sehr beeindruckt. Zu dem Zeitpunkt hatte ich noch nie etwas von direkter Aktion gehört. Erst später, mit mehr Erfahrung, ist mir bewusst geworden, wie wirkungsvoll das war, was wir damals taten.

Nun bin ich selber in den Betriebsrat gewählt worden. Und seither versuche ich, Kolleg*innen zu animieren, die alltäglichen Probleme mit direkten Aktionen anzugehen. Wir haben es selber in der Hand!

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Dieser Text ist enthalten in unserem Buch: "Spuren der Arbeit. Geschichten von Jobs und Widerstand" erschienen im August 2021.
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